Ein Adivasi-Haus in Deutschland
Fortsetzung: Wohnhäuser der Adivasi
mangelnder Zugang zu natürlichen Ressourcen
Foto: Veränderungen im Bettakurumba-Dorf Kadichankolly in den Nilgiri-Bergen in den letzten ca. 15 Jahren (AMS)
Ein Haus aus Lehm, Bambus und Gras braucht regelmäßige Pflege und Reparaturen an Wänden und Dach. Während früher Lehm, Bambus und ein bestimmtes Gras zum Dachdecken in der nahen Umgebung gesammelt werden konnte, ist dies heute nicht mehr der Fall. Zum Bambusschneiden braucht es Genehmigungen. Das traditionell zum Dachdecken verwendete langlebige Gras wächst nur noch an wenigen Stellen und Reisstroh ist nur ein minderwertiger Ersatz. Beherrschten früher alle Dorfbewohner*innen die Techniken des traditionellen Dachdeckens und Hausbaus und halfen sich viele Hände gegenseitig in nachbarschaftlicher Hilfe, so braucht es heute häufig die Unterstützung durch bezahlte Arbeitskräfte, welche zum Beispiel die komplexe Technik des Reetdachdeckens noch beherrschen. Durch den arbeitsintensiven und relativ teuren Erhalt eines guten Reetdaches ist ein solches heute immer seltner zu sehen - ebenso wie in den norddeutschen Küstengebieten. Wer sich unter den Adivasi abere keine Dachziegel leisten kann, benutzt Wellblech - oder Plastikplanen.
Armut oder Wohlstand entscheiden über die Wohnbedingungen
Foto: Ein reparaturbedürftiges Haus in einem Adivasi-Dorf in den Nilgiri-Bergen (AMS)
Besonders vor der monatelangen Regenzeit ist es unerlässlich, Wände und Dächer der Wohnhäuser instand zu setzen. Einige Regionen der Nilgiri-Berge gehören zu den Regionen mit den stärksten Regenfällen in ganz Indien. Ist das Haus feucht, beeinträchtigt dies nicht nur den Komfort, sondern unmittelbar die Gesundheit. Weil sich diese Reparaturen nicht alle Adivasi leisten können, wird im Adivasi-Netzwerk AMS immer wieder auch Nothilfe mit stabilen Plastikplanen oder Wellblechen geleistet.
Auch über Nothilfe hinaus ist die Verbesserung der Wohnbedingungen ein wichtiges Anliegen im Adivasi-Netzwerk AMS. Damit sind gemeint: zwei Wohnräume für eine Familie, ein dichtes Dach, intakte Wände, ein gutes Raumklima, ein separater Kochbereich, ein Rauchabzug. Rauchabzüge zur Prävention von Tuberkulose wurden von einem Adivasi-Team in zahlreichen Wohnhäusern eingebaut, denn der Rauch durch das Kochen auf offenem Feuer im Haus ist ein Problem. Tuberkulose und Erkältungserkrankungen treten während der kalten und regnerischen Jahreszeit besonders häufig auf und verbreiten sich leicht, wenn bis zu zehn Personen einer Familie zusammen in einem Haus leben.
Besonders arme Familien können mit einem Regierungsproramm Unterstützung für Wohnhäuser erhalten. Diese Wohnhäuser haben ebenfalls zwei Räume für eine Familie, aber hinsichtlich Baumaterialien und Architektur haben diese Häuser nichts mehr mit den traditionellen Wohnhäusern der Adivasi gemeinsam. Aufgrund der Wellblechdächer und Betonwände sind die Zimmer im Sommer heiß und in der Regenzeit kalt, auch gibt es keine breite schattige Veranda zum Beisammensitzen oder Schlafen. Doch auch wenn die Familien einen Eigenbetrag zu den staatlich geförderten Häuschen zahlen müssen - mit planen durften sie über viele Jahre nicht. Die Teams im Adivasi-Netzwerk AMS wollen dies ändern - und haben in der Nilgiri-Bergen hierbei erste Erfolge erzielt.
Gute Wohnhäuser - in angepasster Bauweise
Foto: Lehmhaus in einem Adivasi-Dorf in den Nilgiri-Bergen (ATP)
Hat eine Familie etwas Land, gute Bildung und ein ausreichendes Einkommen, so kann sie selbst gute Wohnbedingungen finanzieren. Dafür arbeitet das Adivasi-Netzwerk AMS auf vielfältige Weise. Zudem geht es darum, Dorfentwicklung insgesamt zu fördern, Adivasi als Architekt*innen und Baumeister auszubilden, umweltfreundliche Materialien und traditionelle Techniken einzusetzen und Solarenergie zu verwenden. So sind alle Gemeinschaftsgebäude im Adivasi-Netzwerk AMS - Krankenhaus, Schule, dörfliche Area-Centres oder Lernzentren Lehmbauten. Wird der Lehm zu Lehmziegeln gepresst und zudem mit einem sehr geringen Anteil Zement vermischt, sind die Häuser sehr langlebig.
neuartiger Hausbau - mit traditionellen Methoden
Foto: im Adivasi-Netzwerk AMS entstehen Häuser in neuartiger Technik, aber mit traditionellen Methoden (AMS)
Weil zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie in den Adivasi-Dörfern der Gudalur-Region der Bedarf an Räumen zur Isolierung von Verdachtsfällen und Infizierten stieg, entwickelte ein Team im Adivasi-Netzwerk AMS eine preisgünstige, schnell und flexibel anwendbare und vor allem vor Ort umsetzbare Methode zum Bau kleiner Häuser - unter Einsatz traditioneller Techniken:
Zunächst baut ein kleines Team die Stahlrahmen in einer lokalen Werkstatt. Anschließend flechtet das Adivasi-Team die Wände aus biegsamem Lantana-Holz - eine vom traditionellen Hausbau der Adivasi übernommene Technik. Der Transport der leichten Wände ist problemlos per Pickup möglich. Vor Ort wird ein einfaches Fundament angelegt. Um alles aufzubauen, braucht es lediglich vier bis fünf Personen und wenige Stunden. Dann können die Wände bei Bedarf mit Lehm oder Kalk verputzt werden. Auch in der Größe orientieren sich die Gebäude an den traditionellen Adivasi-Wohnhäusern: Ein solches Haus ist mit zwei Räumen etwa 20m² groß. Doch können problemlos Anpassungen vorgenommen werden.
Der Bau ist dabei ausgesprochen nachhaltig. Das Holz der Lantana-Pflanze ist zum einen ein nachwachsender Rohstoff vor Ort, zum anderen ist es umweltfreundlich, Lantana-Holz zu schlagen. Denn als ortsfremde invasive Pflanze hat sich Lantana so stark in den Wäldern ausgebreitet, dass es Flora und Fauna schädigt. Weil alles vor Ort entsteht, ist der Bau sehr günstig. Zudem ist die Nutzung lange und flexibel möglich - die Lantana-Stahl-Wände können trotz des jährlichen Monsuns zehn Jahre halten.
2021 sollen etwa zwanzig dieser Häuser als Quarantäne-Stationen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie aufgebaut werden. Danach können die Gebäude langfristig als Gemeinschaftsgebäude und dörfliche Lernzentren im Adivasi-Netzwerk AMS genutzt werden.
"Diese Hausbautechnik hat wirklich Potential. Wir sind so begeistert, dass unser Lantana-Team selbst ein solches Haus möchte - als Büro für unser Team. Wir wollen diese alternativen Häuser als Wohnhäuser vorstellen. Wir sind hoffnungsvoll, damit für fünf junge Adivasi eine dauerhafte Vollzeitbeschäftigung schaffen zu können", berichtet das Team, welches diese Technik entwickelt hat.