Adivasi in den südindischen Nilgiris-Bergen
...Hunderte Adivasi-Gemeinschaften von sehr wenigen Mitgliedern bis zu mehreren Millionen Angehörigen - mit eigenen Sprachen, spezifischer traditioneller Kleidung, mit je unterschiedlichen Traditionen und eigener Lebensweise. Mit etwa 8,6% der indischen Bevölkerung (laut Census of India 2011) bilden Adivasi eine Minderheit; aber bei der über eine Milliarde zählenden indischen Bevölkerung sind dies ca. 104 Millionen Menschen. Damit ist Indien das Land mit der weltweit höchsten Zahl von Indigenen, wobei der indische Staat die Adivasi nicht als Indigene im Sinne der Vereinten Nationen anerkennt, sondern als Angehörige sogenannter "scheduled tribes" registriert.
Trotz ethnischer Unterschiede gibt es zwischen den Adivasi Gemeinsamkeiten:
In diesen Gemeinsamkeiten unterscheiden sie sich von den Nicht-Adivasi, sie sind charakteristisch für indigene Bevölkerungen überall auf der Welt: Ihre Religion, Lebensgrundlage und Lebensweise sind eng mit der sie umgebenden Natur und ihrem Land verbunden. Durch ihre relative Isolation über Jahrhunderte bewahrten Adivasi ihren traditionellen Lebensstil bis in die jüngste Zeit. Aber immer gab es auch kommerzielle, politische und kulturelle Kontakte mit Nicht-Adivasi. Manchmal würde es Außenstehenden schwer fallen, Adivasi in ihrer Lebensweise oder ihrem Erscheinen von ihren Nachbar/innen zu unterscheiden. Doch innerhalb der hierarchischen indischen Gesellschaft haben die Adivasi ihren eigenen Platz: Sie stehen außerhalb des Kastensystems am unteren Ende der gesellschaftlichen Hierarchie und sind besonders von Armut betroffen, benachteiligt und ausgegrenzt.
Fast alle Adivasi leben auf dem Land, v.a. in natürlich isolierten Wald- und Bergregionen:
90% der Adivasi in Indien leben auf dem Land (2011) - gegenüber 69% der Gesamtbevölkerung. Etwa die Hälfte der Adivasi bewohnt das zentralindische Wald- und Bergland zwischen den Bundesländern Gujarat im Westen und Westbengalen im Osten, weshalb dieses Gebiet auch der „Stammesgürtel“ (tribal belt) Indiens genannt wird. In den Unionsstaaten Nordostindiens haben die Adivasi den größten Anteil an der Bevölkerung. In Mizoram z.B. leben nur etwa 1,04 Million Adivasi, aber sie machen 94,4% der dortigen Bevölkerung aus (2011). Im übrigen Indien bilden die Adivasi eine Minderheit, wenn auch eine z.T. sehr starke. Im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu sind lediglich etwa 1,1% der Bevölkerung Adivasi - aber es sind ca. 800.000 Adivasi (2011). Die Adivasi Tamil Nadus leben vor allem in dessen Bergregionen, so in den Nilgiri-Bergen. Es gibt reine, meist abgelegene Adivasi-Dörfer und Dörfer, in denen Adivasi und Nicht-Adivasi in Nachbarschaft leben. Nur 10% der Adivasi leben in Städten, wohin sie auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen migriert sind.
Wovon Adivasi leben:
In sehr isolierten Regionen leben Adivasi traditionell als Jäger und Bergbauern. Aber die meisten Adivasi leben durch die Zerstörung des Waldes, durch Landverlust und Vertreibung heute als Kleinbauern oder LandarbeiterInnen von der Landwirtschaft – und jagen und sammeln nur gelegentlich. Andere Adivasi arbeiten als HandwerkerInnen und KünstlerInnen. Und wieder andere sind Industriearbeiter; manche üben moderne Berufe in den Städten aus. Der Wald hat aber für die Adivasi eine hohe Bedeutung für alle Lebensbereiche – als Lebensraum und Lebensgrundlage. Er bietet ihnen traditionell Unterkunft, Nahrung, Viehfutter, Brenn- und Bauholz und durch den Verkauf von Holz, Honig, Gewürzen, Früchten etc. auch Einkommen. In den Traditionen der Adivasi wird der Wald religiös verehrt und ist damit auch die Grundlage ihres Glaubens. Traditionell kennen die Adivasi keinen individuellen Landbesitz. Der Wald gehörte allen, Land konnte von den Familien landwirtschaftlich genutzt werden, aber gehörte immer noch der Gemeinschaft. Im modernen Indien haben die Adivasi erst seit wenigen Jahren Nutzungsrechte am Wald.
Seit der Unabhängigkeit Indiens 1947...
...war die indische Regierung durchzahlreiche Entwicklungprogramme bestrebt, die Lebenssituation der Adivasi über ihre Integration, häufig eher als Assimilation verstanden, in die Mehrheitsgesellschaft zu verbessern. Doch an der Benachteiligung der Adivasi hat sich bis heute wenig geändert. Im Gegenteil – ein einseitiges Verständnis von wirtschaftlicher Entwicklung, die exzessive Ausbeutung der natürlichen Ressourcen Indiens im Dienste des Wirtschaftswachstums und damit einhergehende Vertreibungen von Adivasi, mangelnde Entschädigung, mangelnde Einbeziehung der betroffenen Bevölkerung in Entscheidungsprozesse und mangelhafte Ermöglichung alternativer Lebensgrundlagen verschlechtern vielerorts die Lebensbedingungen von Adivasi dramatisch. Nicht ohne Grund kam und kommt es zu militanten Widerstandsbewegungen in der sogenannten Naxalitenbewegung vor allem in Indiens rohstoffreichen Gebieten, in denen Adivasi und insgesamt die marginalisierte ländliche Bevölkerung von Industrie- und Bergvorhaben nicht profitiert und obendrein ihre bisherige Lebensgrundlage verlieren. Menschenrechts- und Adivasi-Organisationen kämpfen seit Jahrzehnten für die Rechte der marginalisierten Bevölkerungsgruppen. Lokal erreichen sie Vieles. Manchmal hat ihre Arbeit sogar landesweite Auswirkungen und Resultate. Der jahrelangen Arbeit von zahlreichen Menschenrechtsgruppen ist es zu verdanken, dass Adivasi 2009 Waldnutzungsrechte zuerkannt wurden. Allerdings werden diese Rechte bis heute nur schleppend bzw. in langwierigen Verfahren umgesetzt. Im Zuge der sehr wirtschaftsfreundlichen Politik der indischen Regierung der letzten Jahre wird die tatsächliche Anerkennung von Waldrechten immer schwieriger, werden diese teilweise zurück genommen. Millionen von Adivasi aus wald- und rohstoffreichen Gebieten sind von Vertreibung bedroht oder betroffen.